auf ein Wort

Texte 2024

Flood the Zone

Das waren noch Zeiten,
als ein Blaise Pascal meinte,
die Erfindungen der Menschen schritten
langsam und stetig voran –
also von Jahrhundert zu Jahrhundert.

Heute springen dir die Innovationen
fast täglich ins Gesicht.

Nur die Tugend und die Bosheit,
meinte er,
die blieben im Allgemeinen dieselbe.

Mag ja sein –
aber leider lernt auch die Bosheit
heute ständig hinzu
und ermuntert nicht nur Populisten:
„Flood the zone with shit“ –
und das auf allen Kanälen.

 

Das Herz
hat seine eigenen Gründe

meinte schon Blaise Pascal,
Gründe, die die Vernunft nicht kennt.

Ein schöner Satz,
vor allem für Menschen, die ihre Träume
endlich verwirklichen wollen,
die etwa Künstler, Clown oder Einsiedler
werden möchten, oder die hier und jetzt
und sofort die einzig eine heiraten wollen.

Aber manchmal erschrickst du auch
über den Hass und die Häme,
die da plötzlich aus den Abgründen
eines Herzens hervorquellen können.

Schade.
Es wäre so schön gewesen,
wenn man allein mit Vernunft und Wissenschaft
alle Probleme dieser Welt
lösen könnte.

Der Dichter leidet für Millionen

(Andrzej Bursa)

das gilt sicherlich auch
für tausende anderer Künstler.

Aber ja, „is’n Sch…spiel“,
diese Not in den täglichen Nachrichten,
die Toten, das Elend,
der Hass, der Hunger, die Hartherzigkeit,
die Rechthaberei und Dummheit.

Was für eine tägliche Last
allein schon vom Zuschauen.

Aber wenigstens weiß ich jetzt,
warum ich manchmal
so niedergeschlagen bin.

Aber das soll nicht
umsonst gewesen sein.

Und bei dir so?

Fußball und Politik lasse ich mir
ja noch gefallen. Aber
müssen wir jetzt andauernd
über Krankheiten reden?
Früher war das doch mal anders!

Was haben wir diskutiert:
Wir, die wir die Welt verbessern wollten,
frei und unbeschwert,
unsere Eltern haben das so nicht gekonnt,

Dann Ersatzdienst oder Bundeswehr,
wir haben uns das nicht leicht gemacht.

Erinnert ihr euch noch
an die ersten Einladungen – die heiraten!
Das war doch was!
und irgendwann kamen auch Karten –
Mensch, der Alfons, wird schon wieder Papa.

Und ganz früher war natürlich Schule dran,
die blöden Hausaufgaben, und
muss dieser nervige Typ endlos
auf diesem Erlkönig herumreiten?
So spricht doch keine Sau,
und mal ehrlich – Chemie und Wahnsinn
liegen doch ganz dicht beieinander.

Oder jetzt: Thema Enkelkinder:
Der Kleine von Thomas, der
kann wirklich nur schöner werden.
Oder?

Namibia soll auch ganz traumhaft sein
und San Francisco erst recht.
Und guckt mal auf dem Foto:
Brigitte war schon immer
korpulent, ja und jetzt Rücken und Knie!
Was? Du auch?

Hey Leute, Fußball ist doch auch
ganz interessant.

 

Aphorismen

Wenn du den Finger in die Wunde legst, vergiss die Salbe nicht.

 

Das ganze Unglück der Menschen rühre allein daher,
meint der Philosoph Blaise Pascal,
dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.
Ich habe damit keine Probleme:
Ich habe ja mein Handy immer dabei.

 

Auch das Chaos hat seine Ordnung,
sprach der geniale Mathematiker.
Nur seine Frau war anderer Meinung.

 

Unsere Erde ist wieder eine Scheibe.
Wir stoßen leider täglich an neue Grenzen.

Wirksam werden

Mein Gebet ist nicht,
dass der liebe Gott das
schon richten möge,
das Problem mit dem Klimawandel.

Da müssen wir schon selber ran.

Sondern ich bete darum,
dass die vielen Initiativen
gemeinsam wirksam werden,
endlich ineinandergreifen,
sich gegenseitig verstärken,

und dass die Bedenkenträger
beginnen, statt immer nur nach-
nun endlich auch
vorzudenken.

Von oben und von unten

Das war schon toll,
einmal von einem Sportwagen
mitgenommen zu werden und
nicht von einem Lkw.
Aus dem man zwar von oben
erhaben herabblicken kann – aber
so ein tiefliegender Spider eröffnet
doch eine ganz andere Sicht –
vor allem beim Überholen.

Ich war mit dem Daumen unterwegs
irgendwo auf dem motor-way
hinauf zum Lake-Distrikt.

Wir kamen sofort ins Gespräch.
Mein Fahrer war vor allem
technisch interessiert, und bald
fragte er mich nach meinem
Studium an der TH in Aachen.

Er hätte damals, in seiner Jugend,
eine Spitfire geflogen.

Mit drei anderen Maschinen
hätten sie den Bomber eskortiert,
der damals auf dem Möhnesee
die Kugelbombe abgeworfen hat.
Diese ist dann wie ein flacher Stein
über die Wasseroberfläche gehüpft,
vor die Staumauer geprallt,
abgesackt und bei einer genau
berechneten Wassertiefe explodiert.
Technisch eine Meisterleistung.

Jedoch –
sind damals Tausende ertrunken,
ertrunken unter den tosenden, die
Brücken, Fabriken und Häuser
zermalmenden Wassermassen
entlang von Möhne und Ruhr.

Tja,
eigentlich ein ganz sympathischer Typ.
An einer Raststätte trennten sich
schließlich unsere Wege.

Texte 2023

Kein Tiger im Schnee

Opa,
hattest du auch einmal einen Tiger
im Tank?
Ja!
Aber das geht doch gar nicht,
der ist doch viel zu groß!

Das haben die Leute von der Tankstelle
auch nur so gesagt. Damit man viel
Spaß beim Autofahren hat und dann
schnell fährt.

Aber Autos sind doch schädlich
für die Umwelt, sagt unsere Lehrerin!

Genau. Aber die Leute, die das Benzin machen,
wollen auch viel Geld verdienen.

Die wussten sogar schon ganz lange,
dass es dadurch bei uns immer wärmer wird
und wir immer weniger Schnee bekommen.

Opa – was ist Schnee?

And when the saints

go marching in…

Auch ich erinnere mich gerne
all meiner Heiligen,
die mir voran gegangen,
die mir schon immer voraus
gewesen sind.

Mütterliche und väterliche Freunde,
Anstifter, Vorbilder, Tröster, Ratgeber,
die mir aus ihrer Hoffnung und ihren
oft eigenen steinigen Wegen
Treppen bauen konnten, denn

kein Heiliger ohne Vergangenheit und
kein Sünder ohne Zukunft.

Kohle holen

Natürlich hätte ich auch gern
Kohle gemacht, allerdings nicht
wie mein Vater, untertage,
sondern oben, am Liebsten
im Rampenlicht.

Doch
ich bin dann doch
einer anderen Stimme gefolgt,
auch unter Schmerzen,
bin in einen anderen Förderkorb
gestiegen, um von unten,
von tief unten
Worte und Bilder
zutage zu bringen.

Die machen zwar keine Kohle,
sorgen aber auch
für Wärme und Energie.

Traumhaft

Früher –
hatte ich viel weniger Zeit, da
habe ich sie mir einfach genommen,
zum Denken und Träumen.

Was könnte, sollte, müsste werden?

Ich hatte eben viel Zeit –
noch vor mir.

Heute leider nicht mehr,
obwohl ich jetzt viel Zeit hätte.

Aber meine Krämerseele
grübelt und meint,
ich dürfe jetzt wirklich
keine Zeit vergeuden.
Es gäbe nur noch das Jetzt.

Also denke und träume ich jetzt
heimlich,
wie früher in der Schule.

Ich und alt?

Das kann mir doch nicht passieren.
Alt und müde
sind die anderen,
ich habe einfach viel zu tun.

Denn nach der Arbeit
kommt noch
die andere Arbeit.

Heute ist fast alles genauso, oder
sagen wir mal so:
heute mache ich nur viel häufiger
eine Pause. Ich sitze auch gern
in meinem Ohrensessel.
Einfach nur so!

Früher habe ich das nicht gemacht,
schließlich hatte ich damals auch
keinen so bequemen Sessel.

Das wird es sein….

Heute

Immer nur heute,
alles andere darf ich
versöhnt loslassen
oder neugierig erwarten.
Bis mein Heute
ewig wird.

(für Franz von Sales)

Texte 2022 und davor

Umwege

So viele Umwege habe ich in meinem Leben gehen müssen.
Deshalb kenne ich mich jetzt da auch so gut aus. Fragt mich ruhig….

(April 2021)

Versuche

Ich habe es schon hundertmal versucht,
immer sind meine Ideen im Sande verlaufen.
Heute versuche ich es einmal auf der Straße.

(April 2021)

Fehler

„Wenn ich Fehler hätte“, sage ich zu meiner Frau,
„würde ich die sofort zugeben.
Aber ich habe ja keine!“

( 2021)

Etwas

auf den Punkt zu bringen
ist nicht schlicht und einfach
sondern eine elende Plackerei.

Da beneide ich Künstler,
die ein Bild nach dem anderen malen können.

Ich suche, weiß aber nicht was,
möchte eine Witterung aufnehmen,
einen Einstieg finden in eine Höhle,
dort wo im Märchen die Schätze liegen,
aber Sesam hat meist keine Lust
sich zu öffnen, also wandere ich weiter,
durch Textwüsten, grabe in Matsch und Müll,
suche, sammle, sortiere, siebe und
kaue wie ein Rindvieh
meine Zweifel immer wieder durch.

Da bleibt nicht viel übrig,
schließlich ist ein Punkt
auch ein ziemlich kleines Etwas, aber
manchmal, ja manchmal finde ich doch
ein Nugget,
eins aus purem Gold.

(Februar  2022)

 …

Alles einmal gelernt

damals, dann die Klausuren geschrieben,
in Mechanik oder Regelungstechnik und
abends mit den Kumpels Bier trinken gegangen,
damit der Kopf wieder frei wurde,
um weiter zu lernen für die nächsten Klausuren.
Ja, lang, lang her.

Aber jetzt -,jetzt kreist mir dieses alte Zeug
wieder im Kopf herum
und ich kann nicht schlafen.

Zum Beispiel die Sache mit dem dünnen Stab,
der wird im Labor von oben belastet, langsam,
mehr und mehr, sieht doch super aus,
aber plötzlich macht der die Biege,
bricht mittendurch – Knickstabilität überschritten.

Da gab es doch auch so’n komischen Ausdruck –
Bifurkation? Oder? Egal! Also da gibt es einen
Verzweigungspunkt, ab dem schon Kleinigkeiten
zum Bruch führen können. Muss aber nicht.

Und wenn der Golfstrom plötzlich
auch einmal so abknickt?
Ich kann nicht schlafen…

Und dann diese ganze Kiste mit der Regelungstechnik,
mit Differentialgleichungen und imaginären Zahlen,
war nicht einfach, damals, aber zum Glück nur auf Papier.

Heute bekäme ich das nicht mehr auf die Reihe!
Und ich liege da. Einfach umdrehen? Nützt auch nichts!

Da war auch was mit linearen Reglern, Kippunkten,
auch mit Eigenfrequenz und Resonanz, wenn eine
Kinderschaukel immer wieder angestoßen wird,
immer wieder, immer höher – bis zum Überschlag?

Wenn so ein Prozess aus dem Ruder läuft,
unkontrollierbar wird, wie ein ins Schleudern
geratenes Auto oder bei Krebs,
wenn die Zellen plötzlich verrückt spielen und
zu wuchern beginnen….

Und jetzt schmelzen die Gletscher, das ewige Eis
am Nord- und Südpol, immer schneller, und die Waldbrände,
die Trockenheit, die Überschwemmungen und ich liege da…

Wirklich, ich habe das alles einmal gelernt, aber damals
waren das Übungsaufgaben, und Papier ist geduldig,
aber jetzt, jetzt wird alles greifbar,

und ich liege da und kann nicht schlafen.

(2021)